Agrarreform und neue Kulturpflanzen ermöglichten Wohlstand für mehr Menschen

Kartoffeln und Zuckerrüben - Vorreiter der Modernisierung

VersklavungIm Südwesten dagegen ließen sich die Bauern die erneute Versklavung nicht gefallen. Im Elsass gründeten sie den Geheimbund „Bundschuh“, in Würtemberg den „Armen Konrad“ nach Schweizer Vorbild. In Thüringen erhoben sich die Bauern unter Führung von Thomas Müntzer. Aber letztlich hatten sie alle gegen die Schwerbewaffneten Heere der Adligen keine Chance.

Mit der Niederschlagung der Bauernaufstände war die Feudalherrschaft für lange Zeit gefestigt. Das 16. Jahrhundert War geprägt durch ReligionsStreitigkeiten, die dann im 17. Jahrhundert in den Dreißigjährigen Krieg mündeten. Aus diesem Krieg gingen alle deutschen Länder enorm geschwächt hervor. Ganze Landstriche Waren entvölkert. Zur Wiederbelebung begann man das Handwerk Zu entwickeln, Manufakturen und erste Fabriken entstanden. Kolonisten wurden ins Land geholt. An dem Los der Bauern änderte sich jedoch wiederum nichts. Ihrer rechtlichen Stellung nach Waren sie Zu Frondiensten Verpflichtet. Haus, Hof und Inventar gehörten den Grundherren, die den Bauern das Nutzungsrecht daran überlassen hatten und die sie nicht Ohne Genehmigung verlassen durften. Bedeutsam sind aber in diesem Zeitraum der beginnende Kartoffelanbau und die Landgewinnung durch Trockenlegung des Oderbruches durch Preußens Friedrich d. Il. Erst mit der Französischen Revolution wurde die Notwendigkeit von Reformen offenbar.

Mit dem Oktoberedikt 1807 wurde die Gutsuntertänigkeit aufgehoben. Ab 1810 galt die Leibeigenschaft als abgeschafft. Allerdings wurde diese Reform nach dem Sieg über Napoleon immer Zaghafter ausgeführt. Zudem waren die Bauern nur rechtlich frei, von ihren Pflichten der GutsherrenSchaft gegenüber wurden sie nicht entbunden. Nur durch EntschädigungsZahlung oder Landabtretung an den Grundherren konnten sie zu Volleigentümern ihrer Höfe werden.

Begleitet wurde diese Reform durch eine Landeskulturgesetzgebung. Sie leitete die Aufhebung und Aufteilung der seit Jahrhunderten von der Dorfgemeinschaft gemeinschaftlich bewirtschafteten Flächen und Wege ein und beförderte damit deren effektivere Nutzung. Beschleunigt wurde die Agrarreform auch durch den Anbau bisher vernachlässigter Kulturpflanzen wie Kartoffel und Zuckerrübe. Gerade erstere trug dazu bei, den Nahrungsmittelbedarf u decken und genügend Futtermittel bereitzustellen. Die Gutsherren betrieben damit Brennereien, um an Barkapital Zu bekommen. Ähnlich revolutionär war der Anbau von Klee. Er ermöglichte die Stallhaltung des Viehs und trug wesentlich Zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit bei. Mit dem Anbau der Zuckerrübe wurde Zucker vom Luxus- zum Allgemeingut.

Frauen bei der LandarbeitNeben der ausreichenden Pflanzenernährung war die Vernichtung der Ernte durch Insekten und Pilzbefall ein ernstes Problem. Im Altertum setzten Bauern in Öl suspendierter Schwefel sowie Arsen als Insektizid ein. Um 1637 begannen die Menschen Methoden gegen den Pilzbefall von Getreidesamen zu entwickeln (Beizen). Basierend auf der Entdeckung, dass aus der See zurückgewonnenes Saatgut keinen Pilzbefall aufwies, entwickelten sie eine Methode, Saatgut mit Salzwasser und Kalk zu behandeln. Im Jahr 1755 beschrieb Mathieu Tillet (1714–1791) in seinem Werk Dissertation sur la cause qui corrompt et noircit les grains de blé dans les épis; et sur les moyens de prévenir ces accidents die Behandlung von Weizensamen mit Kalk und Salz gegen die später von Charles und Louis Tulasne nach ihm benannten Pilze Tilletia tritici und Tilletia laevis.

Unkräuter wurden ab Mitte des 18. Jahrhunderts teilweise durch Salze wie Eisensulfat, Kupfersulfat und Schwefelsäure, später auch Natriumchlorat und Dinitro-ortho-kresol bekämpft. Bis zur Entwicklung der Herbizids 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure wurden Unkräuter jedoch meist durch mechanische Bearbeitung entfernt. Ab 1945 erfolgte die Entwicklung einer ganzen Reihe von Herbizidwirkstoffen wie Carbamate, Triazine, Sulfonylharnstoffe und Aminosäurederivate.

Schädlinge wie Phytophthora infestans vernichteten in den 1840er Jahren in Irland mehrfach die gesamte Kartoffelernte, was zu einer Hungersnot mit vielen Toten führte. Ereignisse wie diese führten zu einer intensiven Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Agrochemie.

1798 entwickelte der Ökonom und Demograph Thomas Robert Malthus in seinem Essay On the Principle of Population die These, dass die Nahrungsmittelproduktion nur arithmetisch steigen könnte, während die Weltbevölkerung geometrisch wachsen würde. Demnach wird ein Zeitpunkt eintreten, wo die Ernteerträge nicht mehr für die Ernährung der wachsenden Erdbevölkerung ausreichen würden. Um dieselbe Zeit empfahlen Alexander von Humboldt den Einsatz von Guano und Thaddäus Haenke den Einsatz von Chilesalpeter zur Düngung.

FeldarbeitHier wie dort wurden die Leistungssteigerungen mitunter auch durch das Aufstreben der Landwirtschaft zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin begünstigt: Immer häufiger wurden im 19. Jh. Agrarwissenschaftliche Institute gegründet und landwirtschaftliche Studien herausgegeben, die Innovationen und Errungenschaften in ebendiesem Sektor versprachen. Albrecht Daniel Thaer, der als Begründer der agrarwissenschaftlichen Lehre gilt, entwickelte beispielsweise die ertragreiche Fruchtwechselwirtschaft, als er das erste deutsche landwirtschaftliche Lehrinstitut (sogenannter Thaers Garten) gründete und dort wissenschaftliche Studien betrieb. Alexander von Humboldt, Justus von Liebig und andere führten hingegen erste agrochemische Untersuchungen durch und intensivierten somit den Einsatz von Düngemitteln. So trug auch die Wissenschaft ihren Anteil zu den Produktivitätssteigerungen bei.

Die „Erfindung“ des Mineraldüngers durch Justus von Liebig. In den 1840er Jahren bewirkte er in Deutschland geradezu eine agrarische Revolution. Die Entdeckung des Chemikers, dass durch Düngen fehlende Pflanzennährstoffe im Boden ersetzt werden können, veränderten die Landwirtschaft nachhaltig. Durch den Einsatz von organischem Dünger wie Jauche und Mist oder durch mineralischen Dünger wie beispielsweise Stickstoff konnten die Bauern ihre Felder nun jedes Jahr bestellen und die Ernteerträge deutlich erhöhen.

Wichtige Merkmale der "landwirtschaftlichen Revolution", die zur Erhöhung der Flächenproduktivität beitrugen, waren die Intensivierung des Ackerbaus, die seit 1760 durch die Ablösung der Dreifelderwirtschaft vonseiten der Fruchtwechselwirtschaft[4] oder der sogenannten verbesserten Dreifelderwirtschaft sowie durch den Anbau neuer Pflanzensorten erfolgte

- die Erweiterung der Anbauflächen durch die Kultivierung von Öd- und Brachland (u. a. durch die Trockenlegung von Sümpfen, Rodungen oder Entwässerungen),
- die Ausdehnung des Futterbaus und der Stallfütterung auf das ganze Jahr (Winterstallfütterung)
- die planmäßige Zuchtverbesserung und Ertragssteigerung des Viehbestandes,
- die Mechanisierung durch technische Erfindungen wie Maschinen oder Werkzeuge
- sowie der vermehrte Einsatz von natürlichen und agrochemischen Mitteln und der damit verbundene Beginn der Düngerwirtschaft.

Eine auf agrarwirtschaftlicher Ebene revolutionäre Entwicklung bildete einerseits die Einführung der Fruchtwechselwirtschaft, die aufgrund ihres ausgeklügelten Verfahrens, bei dem keine Anbaufläche ungenutzt bleibt, bis heute Bestand hat.

Gleichzeitig nahm mit ihr jedoch auch die Breite der angebauten Nahrungs- und Futterpflanzen zu. Neben der Kartoffel (Hackbau), der als neues Volksnahrungsmittel eine besondere Bedeutung zukam, erweiterte sich das Sortiment dabei durch den Anbau von Zuckerrüben, Klee, Kohl, Mais, Karotten, Raps, Hopfen, Buchweizen und Luzerne. In anderen Gebieten, in die die neuartige Fruchtwechselwirtschaft nicht gelangte, wurde die veraltete Dreifelderwirtschaft durch eine verbesserte Form ersetzt, die zwar eine stärkere Nutzung, jedoch nicht wie die Fruchtwechselwirtschaft die Kultivierung der gesamten Ackerfläche ermöglichte.

cirkular ordre

Der Anbau der Kartoffel stellte nicht nur für breite Bevölkerungsschichten, insbesondere für die arme Landbevölkerung, ein neues Grundnahrungsmittel her, sondern sie konnte auch zur Schweinemast eingesetzt werden, wodurch wiederum Fleischwaren erschwinglicher wurden.

Neue landwirtschaftliche GeraeteLandwirtschaftliche Geräte (Dresch- und Sämaschinen) wurden ständig weiterentwickelt. 1785 wurde beispielsweise der erste gusseiserne Pflug patentiert, 1861 der erste Dampfpflug in England erfunden. Solchen vollkommen neuen technischen Erfindungen misslang jedoch oftmals der Durchbruch, bisweilen wurden sogar Protestaktionen gestartet, um ihren Einsatz weitestmöglich einzudämmen.

Schon in der frühen Neuzeit vergrößerten sich in England Großgrundbesitzer auf Kosten der Kleinbauern (s. o.). Es wurden dazu die weit verstreuten Anbauflächen zusammengelegt und die Allmende (die gemeinsame Nutzfläche an Weide und Wald) aufgeteilt und auch eingefriedet. Besonders im 18. Jahrhundert wurden diese Einhegungen immer häufiger. Die Folge dieser als Enclosure Movement bezeichneten Entwicklung war, dass die Bauern immer weniger Holz und Weidefläche für ihr Vieh hatten.

Außerdem konnten sie mit den Preisen der Großgrundbesitzer, die durch die landwirtschaftlichen Neuerungen ihre Produkte günstig absetzen konnten, nicht mehr mithalten. Diese Verhältnisse, die zunehmende Kommerzialisierung und Konkurrenz, führten zur strukturellen Verarmung der ländlichen Bevölkerung und trugen auch – gemeinsam mit den industriellen Entwicklungen – zum späteren Phänomen des Pauperismus bei. Die meisten verkauften nun ihren bescheidenen Besitz, ließen sich bei den Großgrundbesitzern als Landarbeiter anstellen oder wanderten in Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse in die Städte ab (sheep eat men), um als Lohnarbeiter eine neue Beschäftigung zu finden. Ebenso war der zunehmende Einsatz von Maschinen ein Grund für die Arbeitslosigkeit und Abwanderung der Bauern, verbunden mit einem Höfesterben. In den so vergrößerten Besitzungen wurde auch die landwirtschaftliche Produktion durch verschiedene Neuerungen gesteigert.

GruppenfotoDie Auswanderung vieler Menschen in die Städte (Urbanisierung), die durch Agrarrevolution und Enclosure Movement hervorgerufen worden war, bildete eine Voraussetzung für den nachfolgenden Industrialisierungsprozess. Zusätzlich war durch das Freiwerden der Arbeitskräfte in den Städten genügend Personal für die Industrie vorhanden.

Um 1800 waren noch etwa 75 % aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft tätig] Die ständigen Neuerungen machten es möglich, auch die rasch zunehmende Stadtbevölkerung ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Insofern förderte die Agrarrevolution neben weiteren Faktoren wie der verbesserten medizinischen Versorgung auch das Bevölkerungswachstum, das im industriellen Zeitalter in der demographischen Revolution (Bevölkerungsexplosion) endete. So wuchs der Markt, obwohl die Masse der Bevölkerung weiter in bitterer Armut lebte.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verlor die Landwirtschaft allmählich ihre wirtschaftliche Vorrangstellung an die wachsende Industrie. Dennoch verdoppelte sich im letzten Drittel des Jahrhunderts nahezu die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland. Neue Düngemittel wie das um 1830 entdeckte Chilesalpeter, dessen Verbrauch zwischen 1870 und 1900 von 66.000 auf 484.000 Tonnen stieg, sowie verbesserte Saatzucht, Bodenbearbeitung und Stallfütterungsmethoden erhöhten die Produktivität und verringerten die Gefahr von Hungerkatastrophen wegen Missernten und Mangel. Von 1873 bis 1913 stieg die jährliche Getreideernte um mehr als die Hälfte, von rund 16 auf 25 Millionen Tonnen.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts zogen Maschinen in die ländliche Arbeitswelt ein. Mit den Lokomobilen, den beweglichen Dampfmaschinen, begann zumindest in Großbetrieben die Industrialisierung des agrarischen Sektors. Die fest mit dem Dampfkessel verbundene Maschine ruhte auf einem Fahrgestell, und die Übertragung der von ihr erzeugten Energie erfolgte über einen auf die Schwungradwelle geworfenen Treibriemen. Dieser setzte eine Dreschmaschine in Gang und betrieb nach Bedarf auch eine Häcksel-, Schrot- oder Futterschneidemaschine oder einen Grubber, einen Spezialpflug zum Auflockern des Bodens. Der Einsatz der Dampfkraft setzte viele Landarbeiter frei; sie zogen zumeist in die rasant wachsenden Industriegebiete, wo in Fabriken und im Bergbau zumeist höhere Löhne als auf dem Land verdient werden konnten.

Erste systematische Untersuchungen zur Agrochemie führte Justus von Liebig ab 1840 durch, angeregt durch eine Hungersnot im Jahr 1816, dem sogenannten Jahr ohne Sommer. Er entdeckte, dass Pflanzen Phosphor aus dem sogenannten Superphosphat erheblich schneller aufnahmen und damit eine landwirtschaftliche Ertragssteigerung möglich war.[5] Liebig wurde zum Begründer der Mineraldüngung. Basierend auf seiner wissenschaftlichen Arbeit wurden vor allem in England und Deutschland Unternehmen gegründet, die mineralische Dünger herstellten. So wurde Superphosphat im Jahr 1846 in England und ab 1855 in Deutschland hergestellt. Des Weiteren wurden große Mengen von Salpeter aus Chile sowie Guano aus Peru importiert. Kurz darauf wurde erkannt, dass Ammoniumsulfat, ein Nebenprodukt der Kokerei sich als Stickstoffdünger eignet. Mit der Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens im Jahr 1909, für das Fritz Haber und Carl Bosch mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurden, stand Stickstoffdünger im großen Maßstab zur Verfügung. Neben den wichtigen Mineraldünger-Bestandteilen wie Stickstoff (als Ammonium-, Nitrat- oder Amidstickstoff), Phosphor, Kalium wurde bald die Bedeutung der Spurenelemente wie Zink, Bor, Mangan, Kupfer und Molybdän entdeckt.