Wer bewirkt, dass dort, wo bisher ein Halm
wuchs, nunmehr zwei Halme wachsen,
der hat für sein Volk mehr getan
als ein Feldherr, der eine Schlacht gewann.

Friedrich II

Weg von der Wildpflanze zur Hochleistungs-Kulturpflanze

Einkorn Wildemmer WeizenDer Anbau von Pflanzen und somit auch die Pflanzenzüchtung begann vor rund 12.000 Jahren in Mesopotamien (heute größtenteils Irak) mit Gerste (Hordeum vulgare) sowie Emmer (Triticum dicoccum) und Einkorn (Triticum monococcum), den Urformen des Weizens (Triticum aestivum), später auch Roggen (Secale cereale). Hier wurden erstmals gezielt Pflanzen der genannten Arten ausgewählt und unter kontrollierten Bedingungen angebaut. Seit etwa 5.500 vor Chr. ist der Anbau von Getreide auch in Mitteleuropa bekannt. Mittels Auslese (Selektion) der ertragreichsten Individuen und Einkreuzung von weiteren Wildgrasarten entwickelten sich nach und nach die bekannten Getreidesorten.

Die Evolution der Kulturpflanzen begann zusammen mit der Entwicklung des Ackerbaus in Folge der beginnenden Domestikation der Haustiere. Entstanden sind sie aus Wildpflanzen im Zusammenspiel von zufälligen Veränderungen des Erbgutes und der zielgerichteten Auslese des Menschen auf seine Bedürfnisse hin. So entstanden Arten, die nach und nach nur durch die von Menschen geschaffenen Lebensbedingungen überleben konnten.

Erst viel später setzte eine zielgerichtete züchterische Arbeit ein, die durch Kreuzung zweier Sorten und anschließender Selektion neue Sorten erzeugte. Dies begann im 19. Jahrhundert in größerem Maße. So entstand durch die Züchtung nach anfänglicher Einschränkung der Artenvielfalt eine neue vom Menschen geschaffene Vielfalt an Kulturformen. Mit der Züchtung erfolgte eine starke Größenzunahme der Früchte oder jener Pflanzenteile, die dem menschlichen Bedarf entsprachen. Es gingen aber die Pflanzeneigenschaften verloren, die zwar ihrer natürlichen Verbreitung dienten, aber dem menschlichen Bedürfnis nicht entsprachen oder diesem gar zuwiderliefen:

- Verlust natürlicher Mechanismen der Samenverbreitung
- Verlust der natürlichen Keimruhe als Anpassung an schwankende Umweltbedingungen
- Verlust von Inhaltsstoffen, die der Fraßabwehr dienten, zum Beispiel die Gehalte an Bitterstoffen.

Dies bewirkte eine Verlangsamung der Entwicklung der Pflanzen und verlängerte damit deren Vegetationsdauer. Zuckerrüben, deren Vorfahren einjährige Pflanzen waren, wurden so zweijährig. Kopfsalate oder Kohlarten waren in ihrer Urform für den Menschen nur bedingt nutzbar. Sie bildeten sehr schnell Samen, aber keine gewünschten Köpfe. Die Entstehung der Kulturformen hatte somit zur Folge, dass die Samenbildung ohne menschliches Zutun kaum mehr zustande kommt. Und die Pflanze ist darauf angewiesen , dass ihr Schutz vor Schaderregern nun durch den Menschen erfolgt. Pflanzenschutzmitteln werden , wenn nötig dafür eingesetzt. Krankheitsbekämpfer , also Pestizide im englischsprachigen Raum genannt.

Man unterscheidet primäre und sekundäre Kulturpflanzen. Primäre Kulturpflanzen wie der Weizen oder die Gerste, wurden vom Menschen direkt in Kultur genommen. Sekundäre Kulturpflanzen waren zunächst Unkräuter in den Kulturpflanzenbeständen, aber aufgrund ihrer Überlegenheit unter ungünstigeren klimatischen Verhältnissen wurden sie kultiviert. Sekundäre Kulturpflanzen sind Hafer, Roggen, Tomaten, Buchweizen und Leindotter.

Die Wanderung der sich entwickelnden Kulturpflanzen und damit deren regionale Verbreitung auch in zunächst ungünstigeren Klimagebieten war ein weiterer wichtiger Faktor für die Entstehung neuer Kulturpflanzen. Auch die primären Kulturpflanzen wurden durch Selektion diesen Umweltbedingungen angepasst. Sodass heutzutage die größten Anbaugebiete weitweg vom Ort ihres Ursprunges liegen. Der Weizen zum Beispiel stammt aus Kleinasien und dem damaligen Zweistromland. Heute wird er in den wesentlich nördlich gelegenen gemäßigten Klimaten kultiviert und ist mit der Entwicklung der Winterform die zweitwichtigste Nahrungspflanze der Menschheit geworden.

Der russische Botaniker Nikolaj Wawilow entdeckte auf seinen zahlreichen Forschungsreisen, dass in bestimmten geographischen Regionen eine außerordentliche Mannigfaltigkeit an Wildformen unserer Kulturpflanzen aufzufinden sind. Diese Regionen bezeichnete er als Genzentren. Weltweite Ursprungszentren der Kulturpflanzen

1. Südmexiko, Mittelamerika: inklusive Guatemala, Honduras und Costa Rica.
- Getreide und Gemüse: Mais, Gartenbohne, Limabohne, Teparybohne, Jackbohne, Amarant
- Kürbisgewächse: Feigenblatt-Kürbis, Chayote
- Faserpflanzen: diverse Baumwollarten, Henequen (Faseragave), Sisal-Agave
- Weitere: Süßkartoffel, Pfeilwurz, Paprika, Papaya, Guave, Cashew, Cherry-Tomate, Kakao

2. Südamerika:
2A. Peru, Ecuador, Bolivien:
- Wurzel- und Knollenpflanzen: Anden-Kartoffel, diverse Kartoffelsorten.
- Getreide und Gemüse: Stärke-Mais, Limabohne, Gartenbohne
- Wurzel- und Knollenpflanzen: Kartoffel
- Gemüse: Pepino / Melonenbirne, Tomate, Physalis/Blasenkirschen, Kürbis, Paprika
- Faserpflanzen: Ägyptische Baumwolle Früchte
- Weitere: Kakao, Maracuya, Guave, Tabak
2B. Chiloé (Insel bei Südchile): Kartoffel, Erdbeere
2C. Brasilien-Paraguay: Maniok, Erdnuss, Gummibaum, Ananas, Cashew.

3. Mittelmeerraum: 84 Pflanzen
- Getreide und Gemüse: Hartweizen, Emmer, Dinkel, diverse Hafersorten, Saat-Platterbse, Erbse, Lupine
- Futterpflanze: Weißklee, Inkarnatsklee
- Öl- und Faserpflanzen: Lein, Raps, Schwarzer Senf, Olive
- Gemüse: Rote Bete, Kohl, Rübe, Salat, Spargel, Sellerie, Zichorie, Pastinake, Rhabarber
- ätherische Öl- und Gewürzpflanzen: Kümmel, Anis, Thymian, Pfefferminze, Hopfen, Salbei

4. Mittlerer Osten: inklusive Teile Asiens, gesamter Südkaukasus, Iran, Bergebiete von Turkmenistan – 83 Pflanzen
- Getreide und Gemüse: Einkorn, Hartweizen, Weizen, Orientalischer Weizen, Persischer Weizen, zweizeilige Gerste, Roggen, Linsen, Lupine
- Futterpflanzen: Luzerne, Persianerklee, Bockshornklee, Wicke
- Früchte: Feige, Granatapfel, Apfel, Birne, Quitte, Kirsche

5. Äthiopien: inklusive Abessinien, Eritrea und Teile von Somaliland. 38 Pflanzen; reich an Weizen und Gerste
- Getreide und Gemüse: Abessinien-Hartweizen, Emmer, Gerste, Perlhirse, Sorghum, Augenbohne, Lein
- Weitere: Sesam, Wunderbaum, Gartenkresse, Kaffee, Eibisch, Myrrhe

6. Zentral-Asien: inklusive Nordwest-Indien (Punjab, Grenzregionen im Nordwesten und Kaschmir), Afghanistan, Tadschikistan, Usbekistan und West-Tian-Shan – 43 Pflanzen
- Getreide und Gemüse: Weizen, Bohne, Linse, Pferdebohne, Kichererbse, Mungobohne, Senf, Lein, Sesam
- Faserpflanzen: Hanf, Baumwolle
- Gemüse: Zwiebel, Knoblauch, Spinat, Karotte
- Früchte: Pistazie, Birne, Mandel, Wein, Apfel

7. Indien: Zwei Subzentren 7A. Indo-Burma: Hauptzentrum (Hindustan): umfasst Assam und Burma, aber nicht Nordwest-Indien, Punjab und die Grenzgebiete im Nordwesten – 117 Pflanzen
- Getreide und Gemüse: Reis, Kichererbse, Straucherbse, Urdbohne, Mungobohne, Reisbohne, Augenbohne
- Gemüse und Knollengewächse: Aubergine, Gurke, Rettich, Taro, Yams
- Früchte: Mango, Orange, Mandarine, Zitrone, Tamarinde
- Zucker-, Öl- und Faserpflanzen: Zuckerrohr, Kokosnuss, Sesam, Öldistel, Baumwolle, Orientalische Baumwolle, Jute, Kenaf
- Gewürz- und Färberpflanzen und Weitere: Hanf, Schwarzer Pfeffer, Gummibaum, Sandelbaum, Ceylon-Zimtbaum, Croton, Bambus
7B. Siam-Malaya-Java: inklusive Indochina und Malayischem Archipel, 55 Pflanzen
- Getreide und Gemüse: Hiobsträne, Juckbohne
- Früchte: Pampelmuse, Banane, Brotfrucht, Mangostane
- Öl-, Zucker-, Gewürz- und Faserpflanzen: Lichtnussbaum, Kokosnuss, Zuckerrohr, Gewürznelke, Muskatnuss, Schwarzer Pfeffer, Manilahanf

8. China: 136 Pflanzen
- Getreide und Gemüse: z. B.: Rispenhirse, Kolbenhirse, Koaliang, Buchweizen, Sojabohne, Adzukibohne, Velvetbohne
- Wurzel- und Knollengewächse, Gemüse: z. B.: Chinesischer Yams, Rettich, Chinakohl, Zwiebel, Gurke
- Früchte und Nüsse: z. B.: Birne, Chinesischer Apfel, Pfirsich, Aprikose (Marille), Kirsche, Walnuss, Litschi
- Zucker-, Medizin- und Faserpflanzen: z. B.: Zuckerrohr, Mohn, Ginseng, Kampferbaum, Hanf

Cornelis de Heem Stilleben mit Obst und GemseDer auf Forschungsarbeiten des US-amerikanischen Historikers Alfred W. Crosby zurückgehende Ausdruck Columbian Exchange (englisch für Kolumbianischer Austausch) wird seit den 1970er Jahren verwendet, um die enorme Verbreitung und Wechselwirkung von für die jeweiligen Kontinente zunächst neuartigen landwirtschaftlichen Waren und Produkten aus Flora und Fauna zwischen der östlichen und westlichen Hemisphäre zu bezeichnen. Er trat als eine der Rückwirkungen der europäischen Expansion nach der Entdeckung Amerikas 1492 durch Christoph Kolumbus auf, und trug beiderseits des Atlantiks zu einer ökologischen Veränderung insbesondere in der Naturgeschichte Europas und Amerikas ab dem 16. Jahrhundert bei.Die im deutschsprachigen Raum bisweilen auch als „Kolumbus-Effekt“ bezeichneten Vorgänge bilden eine wichtige Grundlage für vielfältige, teils revolutionäre historische Entwicklungen der Neuzeit, die sich auch im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kontext der Weltgeschichte seit Anfang des 16. Jahrhunderts niederschlugen.Das Jahr 1492 wird hier als allgemeines Stichdatum gewählt, das jeweilige Einsetzen der Wirkungen ist nach Landstrich durchaus unterschiedlich: So waren beispielsweise Kartoffeln vor 1492 außerhalb Südamerikas unbekannt, jedoch im 18. Jahrhundert in Irland unverzichtbar. Der erste europäische Import, das Pferd, änderte die Lebensgewohnheiten vieler amerikanischer Ureinwohner auf den Prärien in einen nomadischen Lebensstil mit der Jagd auf Bisons zu Pferde. Die Tomatensauce, hergestellt aus Tomaten aus der Neuen Welt, wurde ein italienisches Warenzeichen, aber Kaffee und Zuckerrohr aus Asien bildeten die wichtigsten Anbaupflanzen Lateinamerikas. Vorher gab es keine Orangen in Florida, keine Bananen in Ecuador, keine Rinder und Milchprodukte in Argentinien, keine Kautschukbäume in Afrika, keine Viehwirtschaft in Texas und keine Schokolade in der Schweiz.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden im Zuge der Aufklärung sowie des Beginns der modernen Naturwissenschaften Institute gegründet, die sich der Zucht und dem Anbau von Nutzpflanzen (also Pflanzen, die der Ernährung, der Rohstoffgewinnung, der Gesundheit oder als Zierpflanzen dienen) widmete. Die Pflanzenzucht war zu der Zeit noch ein Teilgebiet des Pflanzenbaus, bis sie sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts abspaltete.

Sortenvielfalt der Tomate / Foto: Lance CheungIm Laufe der Fünfziger Jahre entwickelte sich die sogenannte Grüne Revolution. Mit den modernen Methoden der Pflanzenzüchtung wurden erste Hochertragssorten erzeugt (u. a. Reis, Mais, Hirsen, Kartoffeln, Soja), die auch bei weniger günstigen Bedingungen gute Erträge brachten. Ab den Sechzigern wurden diese Sorten in den Entwicklungsländern erfolgreich angebaut, so dass man davon ausging, dass durch den höheren Ertrag zum einen die Ernährungssituation deutlich verbessert und die Kindersterblichkeit gesenkt werden konnte, zum anderen auch weniger Anbaufläche benötigt wird.

Die nächste Revolution in der Pflanzenzüchtung gab es im Laufe der Achtziger Jahre: Die Grüne Biotechnologie verwendet Erkenntnisse und Methoden aus verschiedenen Biowissenschaften, um über Pflanzen Wirkstoffe zu produzieren oder Enzyme zu gewinnen. Der bekannteste Bereich ist die Grüne Gentechnik, bei der mit Labormethoden in das Erbgut von Pflanzen eingegriffen wird, um deren Eigenschaften zu verbessern. Ihr Einsatz ist vor allem in Europa leider so umstritten, vorgeblich werden unkontrollierbare Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen befürchtet . In anderen Kontinenten ist man da wesentlich aufgeschlossener ohne dass bisher sich Nachteile bestätigten. Und so befürchten wir zurecht als europäische Bauern von der Entwicklung abgehängt zu werden. Auch die Forschung hat mittlerweile Europa verlassen.

Dr. Albrecht Kloß